Digitale Angebote zur Anamnese, Aufklärung, aber auch zur Nachsorge, Entlassung und Qualitätssicherung kommen sowohl im klinischen Bereich als auch bei niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten immer häufiger zum Einsatz. Das Spektrum ist hierbei denkbar breit und reicht von auf der Website zur Verfügung gestellten Informationen in Form von Texten, Informationsfilmen oder ausdruckbaren Anamnesebögen bis hin zu Anamnese- und Aufklärungslösungen, die auch Aufgaben der Dokumentation automatisieren können. Gleichzeitig spielt die gezielte Betreuung älterer Menschen in vielen Bereichen des Gesundheitswesens eine immer wichtigere Rolle. Es stellt sich die Frage, ob und inwieweit sich digitale Angebote in die Betreuung älterer Patientengruppen integrieren lassen und welche Hindernisse, Chancen und Herausforderungen dadurch entstehen.
Ältere Menschen sind nicht digital erreichbar. Oder doch?
Seit vielen Jahren ist die Aussage, ältere Menschen seien durch digitale Medien und Angebote schlicht nicht zu erreichen, ein häufig kolportierter Einwand bei Digitalisierungsinitiativen. Doch inwieweit hält das Klischee von der mangelnden digitalen Kompetenz in den 2020er Jahren der Wirklichkeit noch stand?
Einen fundierten Überblick über die Nutzungspräferenzen älterer Menschen erlaubt etwa die SIM-Studie, die 2021 im medienpädagogischen Forschungsverbund Südwest erschien. Dabei zeigt sich ein differenziertes Bild, das aber einige Rückschlüsse auf Präferenzen in Bezug auf die Informationsbeschaffung zum Thema Gesundheit zulässt.
So ist der Anteil der „onliner“, das sind Menschen, die zumindest gelegentlich das Internet benutzen, in den höheren Alterskohorten weniger niedrig, als vielleicht allgemein angenommen (die SIM-Studie erhob 2021 die Altersgruppen 60-69, 70-79 sowie 80+, in weiterer Folge sind hier die Alterskohorten mit den Geburtsjahrgängen dargestellt). Bei den über 80-jährigen sind Anfang der 2020er Jahre somit immerhin mehr als die Hälfte zumindest gelegentlich im Internet unterwegs.
Anteil der "onliner" in den höheren Altersgruppen
Nutzungsdauer von Online-Angeboten pro Woche in Minuten
Auch die Nutzungsdauer von Online-Angeboten wurde in der SIM-Studie erhoben. Hier zeigt sich ein ähnliches Bild. So sind Menschen, die 1941 oder früher geboren sind und gelegentlich das Internet benutzen, immerhin durchschnittlich 7 Stunden pro Woche im Internet unterwegs:
Min/Woche
Jahrgänge 1952 – 1961
Min/Woche
Jahrgänge 1942 – 1951
Min/Woche
Jahrgänge 1941 und älter
Besonders interessant für das vorliegende Thema erscheint die Frage nach dem Informationsverhalten zum Thema Gesundheit und Pflege im Internet, die in der Studie gestellt wird. Hier zeigt sich, dass in der Gruppe der „onliner“, die bis 1951 geboren sind, das Internet sogar die wichtigste Informationsstelle für das Thema Gesundheit darstellt. Lediglich bei den Menschen über 80 überwiegen andere Kanäle. Darunter nennt die Studie auch „sonstige Quellen wie Freunde und Familie“ oder auch „Professionelle aus dem Gesundheitssektor, wie Ärzt:innen oder Beratungsstellen“.
Eine weitere Differenzierung muss allerdings bei der Alterskohorte der vor 1941 geborenen in Rechnung gestellt werden. So fällt etwa die Nutzung von Suchmaschinen, die als Indikator für gezielte Informationsbeschaffung im Internet angenommen werden kann, bei den Jahrgängen vor 1936 deutlich ab. Hochbetagte dürften durch Digitalisierungsinitiativen also tatsächlich kaum als selbstständige Nutzer:innen gewonnen werden können.
Ein weiterer Unterschied, den vor allem der achte Altersbericht des Bundeministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend für Deutschland herausarbeitet, betrifft den Bildungsaspekt: In der Gruppe der älteren Menschen tritt die Bildungsproblematik bei der Digitalisierung besonders deutlich hervor. Während sich bei den jüngeren Menschen die Bildungsunterschiede hinsichtlich der Nutzung digitaler Medien deutlich verringert haben, sind die Unterschiede in den höheren Altersgruppen nach wie vor sehr groß.
Zu einem ähnlichen Schluss kommt die Studie Bildung und digitale Kompetenzen im Alter, die das österreichische Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz veröffentlicht hat. So seien Personen, welche keine digitalen Technologien nutzen, tendenziell „älter, weiblich, mit niedrigerer Bildung und Einkommen“.
Der „nichtdigitale“ Patient als Spezialfall: Fallback und Harmonisierung der Daten
Digitale Kompetenz als Aspekt der gesellschaftlichen Teilhabe wird immer wichtiger — gerade für ältere Menschen. Dennoch können gerade in sensiblen Bereichen wie der Gesundheitsversorgung analoge Angebote nicht einfach gekappt werden. Die Daten zeigen: Es gibt einen Sockel an Menschen, die nicht über digitale Medien erreichbar sind. Quantitativ betrifft dies vor allem die Gruppe der hochbetagten Menschen. Daher muss die Lösung in der Aufrechterhaltung einer Doppelstruktur, oder einer Fallbackstruktur bestehen, um auch Spezialfällen gerecht zu werden bei denen die digitale Aufklärung etwa über Onlineplattformen nicht möglich ist.
Da das Gesetz sowohl in Österreich als auch in Deutschland die persönliche Aufklärung der Patient:innen durch den Arzt oder die Ärztin voraussetzt und digitale Plattformen zur Anamnese und Aufklärung zwar nach geltender Rechtslage entsprechende Prozesse vereinfachen und effizienter machen, aber das persönliche Gespräch nicht vollständig ersetzen dürfen, handelt es sich dabei letztlich „nur“ um (lösbare) Verwaltungsprozesse.
Plattformen zur Patientenaufklärung können maßgeschneiderte Fallback-Strategien integrieren, welche die nahtlose Integration von nicht digital auszuführenden Aufklärungen gewährleisten, wie etwa
- Warnung bei nicht absolvierten digitalen Aufklärungen
- Bereitstellung der digitalen Aufklärungsinhalte in Papierform auf Knopfdruck
- eine einfache, den nahtlosen Ablauf im Alltag der medizinischen Praxis unterstützende dynamische Dateneingabe
- Harmonisierung und Zertifizierung der analog erhobenen Daten innerhalb der primären Plattform.
Digitalisiert, aber nicht technikaffin: 4 Thesen, wie Aufklärungsplattformen gestaltet sein müssen, um auch für ältere Patient:innen einen Mehrwert darzustellen
Ausblick und Resümee
Der Blick auf die Daten hinsichtlich der Digitalisierung alter Menschen legt nahe, dass die Anzahl an Patient:innen, die nicht digital erreichbar sind, mittelfristig deutlich sinken wird. Zusätzlich wird in den kommenden Jahren eine Generation von betagten Patient:innen nachrücken, die digitale Kompetenzen mehrheitlich bereits in ihrem Berufsleben erworben hat. Diese Entwicklungen sind ein starkes Argument für eine nachhaltige Integration von Aufklärungsplattformen, die auf die Zukunft ausgerichtet sind und einen großen Mehrwert für die Patient:innen, aber auch für die Effizienz einer modernen Organisation von Gesundheitsdienstleistern bedeuten. Es ist jedoch wichtig, die Usability und die digitalen Inhalte für ältere Menschen anzupassen und eine geeignete Fallback-Strategie für Nicht-Digitalisierte zu implementieren.