Aus einer Metaperspektive betrachtet erfüllt das ärztliche Aufklärungsgespräch zwei grundlegende Funktionen: Einerseits soll es Patient:innen die Möglichkeit geben, eine Behandlung zu verstehen, Vor- und Nachteile abzuwägen und sich dafür oder dagegen zu entscheiden und gegebenenfalls durch das eigene Zutun („compliance“) zum Handlungserfolg beizutragen. Andererseits erfüllt das Aufklärungsgespräch durch das Zustandekommen eines Behandlungsvertrags die Intention einer haftungsrechtlichen Absicherung von Ärzt:innen.
Es ist allgemein bekannt, dass das Aufklärungsgespräch stets mündlich zu erfolgen hat und dass die Ärzt:innen im Zweifelsfall beweisen müssen, ihrer Aufklärungspflicht nachgekommen zu sein. Dazu dient auch die Dokumentation der Patientenaufklärung. Die Unterschrift auf einem Papier-Aufklärungsbogen durch Patient:innen ist für das Zustandekommen eines Behandlungsvertrages hingegen keinesfalls Voraussetzung und erfüllt die Rolle einer haftungsrechtlichen Absicherung nicht zur Gänze. Vielmehr muss aus der Gesamtheit der Dokumentation der Ärzt:innen im Zweifelsfall schlüssig hervorgehen, dass der/die Patient:in die mündliche Aufklärung verstanden hat. In diesem Kontext kann die Unterschrift als ein Baustein dieser Gesamtheit interpretiert werden. Weit verbreitet und sinnvoll ist daher auch die Praxis, Notizen und „persönliche Markierungen“ auf Aufklärungsbögen anzubringen, denn sie machen eine Auseinandersetzung im Zuge eines Arzt-Patientengesprächs plausibel.
Sichere und unsichere Workflows in Kliniken und Praxen aus der Perspektive der Schriftforensik
Die Schriftforensik oder Schriftvergleichung ist eine Wissenschaft, die sich in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts maßgeblich von der Graphologie emanzipiert hat. Unter Graphologie versteht man die wissenschaftlich kaum haltbare Zuschreibung von psychologischen Eigenschaften, die man anhand der Schrift feststellen wollte.
Schriftsachverständige werden heute vornehmlich in Behörden und Lehrgängen (ein universitärer Lehrgang existiert z.B. an der psychologischen Fakultät der Universität Mannheim) ausgebildet und sind als Exekutivbeamte oder freie Gerichtsgutachter tätig. Ein üblicher Weg der Schriftvergleichung ist folgender: Eine strittige Unterschrift wird mit einer Reihe von Vergleichsunterschriften verglichen. Ausschlaggebend für die Bewertung ist die Untersuchung von bestimmten Schriftmerkmalen. Die Form einer Unterschrift spielt dabei in Anbetracht der üblichen Varianz einer Schreibleistung eine eher untergeordnete Rolle („Durchfensterungen“ oder „Abpausungen“ zu erkennen, sind in der Regel die leichten Übungen für einen Sachverständigen). Wichtiger sind Parameter, wie Bewegungsvorschläge, Merkmale der Bewegungszügigkeit oder etwa der Druckgebung. Besondere Entstehungsumstände wie etwa Handstützung, Handführung oder Medikamenteneinfluss können untersucht werden und spielen gelegentlich eine Rolle. Daneben existiert als Standardprozedere eine physikalisch-technische Urkundenuntersuchung (PTU), die auf Fragen der Manipulation eines Dokuments oder etwa die Altersbestimmung von Schreibmitteln, etwa durch Gaschromatografie, abzielt. Der Schriftsachverständige äußert sich vor Gericht nur zur Frage der Urheberschaft auf Basis einer Wahrscheinlichkeitsaussage. Zentral für die Arbeit eines Schriftgutachters ist das Vorliegen ausreichenden Untersuchungsmaterials. Dazu eigenen sich ausschließlich Originalschriftdokumente. Kein Schriftsachverständiger vermag angesichts etablierter Untersuchungsmethoden Gutachten auf Basis von Scans oder Lichtbildkopien zu erstellen.
Legt man eine manuelle Unterschrift (d.h. ein physisch mit Stift auf Papier geleistetes Bewegungsmuster) zugrunde, muss aus Sicht der Schriftforensik zur Beweissicherung das Dokument in Papierform aufbewahrt werden. Jegliche Form der elektronischen Aufbewahrung ist gleichsam als Beweisvernichtung anzusehen, sofern das Papierdokument nicht aufbewahrt wird.
Sowohl in Praxen als auch in Kliniken wäre das Vorgehen, einen Papierfragebogen zu unterschreiben, zu scannen und zu kopieren, aber das Original nicht vorzuhalten, aus der Perspektive der Schriftforensik abzulehnen.
Das Gleiche gilt für Notizen auf dem Aufklärungsbogen. Hierbei ist es beispielsweise wichtig, dass alle Zusatzanmerkungen des Arztes auf demselben Originalaufklärungsbogen vorgenommen werden. Von einer „doppelgleisigen“ Dokumentation (etwa Unterschrift auf dem Aufklärungsbogen, aber Dateneintrag und Notizen im elektronischen System) ist abzuraten. Sicherer ist hingegen eine reine manuelle Dokumentation in Papierform und die Aufbewahrung des Originaldokuments nach den rechtlichen Bestimmungen.
Rechtssicherheit digitaler Lösungen
Rechtsicherer als Notizen auf dem Fragebogen: Zeitstempel und Datenpunkte
Gerade in Klinikabteilungen und Praxen mit hohen Dokumentationsbedarf (hohen Fallzahlen an Untersuchungen) stellt sich die Frage, inwieweit sich Workflows mit Papierfragebögen heute noch effizient umsetzen lassen. Aspekte wie etwa abteilungsübergreifende Kommunikation und Datentransfer lassen sich ohne moderne EDV nur mit erhöhtem Personalaufwand stemmen – einer heutzutage wertvollen Ressource. Die Rechtssicherheit bei der Patientenaufklärung scheint hingegen in Diskussionen häufig als Nadelöhr der Digitalisierung aufzutauchen. Dabei wird gerne außer Acht gelassen, dass die Möglichkeit der Erhebung etlicher Datenpunkte im Zeitverlauf einen Aufklärungsprozess deutlich rechtssicherer machen kann, indem durch verschiedene technische Verfahren nachgewiesen werden kann, dass der/die Patient:in in der Lage war, den Inhalten zu folgen und sich mit der Thematik auseinandergesetzt hat.
So ist es bei der Vermittlung digitaler Inhalte an Patient:innen möglich, über Authentifizierungen festzustellen, dass eine bestimmte Person die Aufklärung erhält (eine Möglichkeit ist beispielsweise der Zugang über einen Handy-Code, wie wir ihn aus dem Online-Banking kennen). Im Zuge der Absolvierung von Aufklärungsmodulen kann die Betrachtungszeit und die Interaktion mit Fragebögen getrackt und mit Zeitstempeln versehen werden. Über gezielte Rückfragen können Patient:innen mitteilen, ob sie die Inhalte verstanden haben, oder nicht. Schließlich können sie auch eigene Fragen formulieren und den Ärzt:innen übermitteln. Anschließend ist es möglich, eine Zusammenfassung des Erfolgs der Inhaltsvermittlung als Report an diejenigen Ärzt:innen auszugeben, die im Aufklärungsgespräch dann genau die offenen Fragen ansprechen und direkt im elektronischen Akt weiter dokumentieren können.
Ähnlich wie die Schriftforensik ist IT-Forensik ein Thema, mit dem sich Gerichte befassen müssen. Ganz ähnlich bedienen sich IT-Forensiker vordefinierter Methoden, um Daten zu sichern, auszuwerten und im Zuge eines Gutachtens Aussagen zu treffen. Klug eingesetzte Datenpunkte im Zuge eines Aufklärungsprozesses (samt Interaktion der Ärzt:innen mit dem elektronischen Akt, während oder nach dem Gespräch, samt Zeitstempeln) können die Informationsvermittlung im Falle einer forensischen Auswertung mit deutlich höherer Sicherheit belegen, als dies anhand manueller Anmerkungen auf einem Papierbogen erreicht werden kann.
Die Frage nach der elektronischen Unterschrift
Bei der Leistung elektronischer Signaturen hat sich in den letzten Jahren viel verändert (insbesondere im Zuge der eIDAS-VO, auf die an dieser Stelle nicht weiter eingegangen wird). So darf vor Gericht beispielsweise eine Unterschrift nicht als ungültig erachtet werden, bloß weil sie in elektronischer Form vorliegt. Die Vorteile einer elektronischen Dokumentation liegen für Kliniken und Praxen auf der Hand, wie verhält es sich damit aber aus schriftforensischer Sicht?
Prinzipiell ist es möglich, elektronische Signaturen mit allerhöchsten Sicherheitsniveau zu implementieren (sogenannte qualifizierte elektronische Signaturen). Allerdings stellt sich in solchen Fällen immer die Frage, inwieweit Usability und Sicherheit für den konkreten Fall auszubalancieren sind. Höchste Sicherheitsanforderungen, wie etwa die Einbindung eines Vertrauensdienstleisters (VDA) und eines Prozesses, der eine lückenlose Identifizierung gewährleistet, ist möglich, aber vorerst durch Hürden für die Patient:innen verbunden, denn sie müssen im Zweifelsfall vor dem Leisten der Unterschrift einen aufwändigeren Identifikationsprozess durchlaufen, der im klinischen Kontext kaum praktikabel scheint (in Zukunft könnte aber die flächendeckende Verbreitung einer „elektronischen Bürgerkarte“ in Verbindung mit der Krankenversicherungskarte eine sehr einfache und praktikable Lösung dieses Prozesses darstellen).
"Signing on glass"
Einfach und praktikabel erscheint hingegen die Verwendung eines speziellen Geräts zur Erfassung einer handschriftlichen Schreibbewegung. Unter dem Begriff „Signing on Glass“ versteht man die Verwendung spezieller elektronischer Signatur-Tablets, die schon seit Jahren Einsatz in Banken, Versicherungen oder anderen sensiblen Bereichen finden. Diese Tablets sind in der Lage, im Sinne der Schriftforensik mehrere Schriftmerkmale zu erheben. In puncto Druckverlauf, Geschwindigkeit der Bewegungen oder Winkel des Schreibgeräts sind sie in Teilbereichen der klassischen Schriftvergleichung sogar überlegen, da in diesem Fall im eigentlichen Sinne nicht auf Schriftmerkmale rekurriert, sondern originäre Datensätze erhoben werden können (Anfang der 2000er Jahre arbeitete man in der schriftforensischen Grundlagenforschung übrigens mit sogenannten Verfahren zur On-Line Erhebung von Bewegungsmustern, um Annahmen der Schriftforensik zu untermauern).
Diese Daten zum Entstehungsprozess einer Schreibleistung machen das Verfahren ziemlich sicher und dürften wohl für die allermeisten Use Cases im klinischen Kontext völlig ausreichen. Außerdem kann die Unterschrift auf einem Gerät im Behandlungszimmer nachweisen, dass der Patient/die Patientin im zeitlichen Kontext der Dokumentation anwesend war (ein Papieraufklärungsbogen, der vom Empfang ausgeteilt wird, kann schwer diese Aufgabe erfüllen).
Zusammenfassung und Bewertung
Die forensische Sicherheit der Schreibleistung als Baustein einer haftungsrechtlichen Absicherung bei Anamnese und Patientenaufklärung kann folgendermaßen bewertet werden: Die Dokumentation auf einem Papier-Fragebogen bietet die höchste Sicherheit im Hinblick auf eine strittige Unterschrift. Würde es vor Gericht also zu der (zugegebenermaßen nicht sehr wahrscheinlichen) Frage einer Unterschriftfälschung kommen, hätte der Schriftgutachter das beste Beweismaterial vorliegen, sofern die gesamte Dokumentation in Papierform passiert und das Originaldokument aufbewahrt wird. Aus forensischer Sicht ungünstig sind hingegen Mischungen aus digitaler und analoger Dokumentation, bei der etwa auf Papierbögen dokumentiert, aber anschließend zur Aufbewahrung eingescannt wird oder der Fall unterschriebener Papierbögen und einer parallelen elektronischen Dokumentation der Anmerkungen zum Aufklärungsgespräch.
Bei der Frage nach dem gesamten Prozess der Dokumentation eines Aufklärungsgesprächs, der wohl in den meisten Fällen haftungsrechtlich von Belang ist, hat eine intelligente digitale Lösung mit Zeitstempeln gegenüber Papieraufklärungsbögen eindeutig die Nase vorn, da sie in der Lage ist, durch zahlreiche Datenpunkte eine bessere Nachvollziehbarkeit der Informationsvermittlung herzustellen. Die Beweiskraft der digitalen Signatur („Sign on Glass“) dürfte innerhalb intelligent gelöster Software-Prozesse zumindest den Vorgaben einer fortgeschrittenen elektronischen Signatur (FES / eIDAS-VO), entsprechen, wie sie bei den meisten Rechtsgeschäften, etwa einem Autokauf oder einem Versicherungsvertrag, ausreicht. Sie ist dem Unterzeichner durch die Erhebung mehrerer Schriftmerkmale mit hoher Wahrscheinlichkeit zuzuordnen.
Insgesamt bietet dieser digitale Prozess der Anamnese und Patientenaufklärung, die Erhebung von Zeitstempeln und Datenpunkten sowie der Abschluss durch eine FES insgesamt die höchste forensische Sicherheit und stellt die optimale Balance zwischen Usability und Rechtssicherheit dar. Es ist indes abzusehen, dass die digitale Patientenaufklärung in sehr naher Zukunft ein in allen Punkten deutlich höheres Niveau hinsichtlich der forensischen Auswertbarkeit im Falle haftungsrechtlicher Belange bekommen wird, als dies mit Papieraufklärungsbögen und einer manuellen Dokumentation möglich ist. Dies vor allem durch die Verbreitung von elektronischen Bürgerkarten, mit denen die Verwendung qualifizierter elektronischer Signaturen (diese sind der manuellen Unterschrift rechtlich vollkommen gleichgestellt) allgemein üblich werden könnten.